Skala der Ausbildung: Die Anlehnung

„Sich an jemanden anlehnen“: das tut man freundlich, behutsam, vorsichtig, vertrauensvoll und nach Kontakt suchend.Gerne, „sich an etwas anlehnen“: tut man prüfend, langsam, vorsichtig und nach dem Widerstand suchend.

 

Ob man beim Reiten nun mit jemandem oder mit etwas eine Anlehnung eingeht, sei jedem Reiter selbst überlassen.Das Verständnis und das Gefühl für die korrekte Anlehnung scheint weltweit und bei jedem einzelnen Reiter sehr unterschiedlich zu sein. Gerade bei der Frage, was korrekte Anlehnung ist, ob zu tief, zu eng, mit zu viel Kraft, oder zu lose geritten, gehen die Meinungen weit auseinander. 

Wichtig für Reiter und Ausbilder ist zu wissen, welchen Grad der Anlehnung man seinem Pferd abverlangen kann. Sie soll immer relativ zum Ausbildungsstand des Pferdes sein. Generell gilt: von einem tiefen lang eingestellten Hals und einem freien offenen Genick – der Dehnungshaltung, hin zu immer mehr Aufrichtung, d.h. der Hals wölbt sich, das Genick wird höher getragen und der Winkel Hals – Unterkiefer wird enger, wobei die Nasenlinie des Pferdes immer vor der Senkrechten getragen werden soll. Die korrekte, sich entwickelte Aufrichtung wird immer begleitet von einer vermehrt untertretenden Hinterhand  und Gleichgewichtsfindung des Pferdes.

Mit beginnender Anlehnung steht das Pferd an allen Hilfen: Schenkelhilfen, Gewichtshilfen und Zügelhilfen. D.h. das Pferd sucht die Anlehnung an alle Hilfen, um sich durch sie führen zu lassen. Die Kunst guten Reitens ist nun, im richtigen Moment die richtige Dosis der nötigen Hilfen zu geben!

Das Pferd soll an den Zügel treten und die Verbindung zur Reiterhand suchen. Dafür muss der Zügel so kurz gefasst werden, dass er freundlich ansteht und weder durchhängt, schlackert und schon gar nicht springt. Er darf aber auch nicht so stark angenommen werden, dass die Zunge des Pferdes zwischen Gebiss und Unterkiefer eingequetscht wird und das Pferd sich gegen den Zügel wehren und verteidigen muss. Sei es, in dem es sich entzieht und in dem es sich einrollt oder den Kopf hochreißt oder sich fest macht und durch Muskelanspannung (gehaltener Dauerspannung) in Kiefer, Genick und Hals gegen den Druck ankämpft.

Der Zügel soll immerwährend leicht, federnd anstehen, das Pferd in seiner ganzen Bewegung begleiten, aber nicht einschränken oder stören.

Mit Hilfe der Anlehnung soll der Reiters Einfluss auf die Haltung des Pferdes nehmen. Sie dahingehend verändern, dass das Pferd sich von seiner natürlichen Haltung und Bewegung die es ohne Reiter hat.In dieser Haltung hat es eine Bewegung entwickelt, die es braucht um das Reitergewicht  tragen zu können damit der Pferdekörper keinen Schaden davon nimmt. 

Mit beginnender Anlehnung muss immer auf die zwei vorhergehenden Punkte der Ausbildungsskala, Takt und Losgelassenheit, geachtet werden.  Das Pferd kann bei zu starker Zügeleinwirkung Taktfehler bekommen, die im schlimmsten Fall im Schritt zu einem Passgang, im Trab zu kurzen Spanntritten, im Galopp zu einem Viertakt und insgesamt zu Verspannungen und Blockaden führen können.

Bei guter Anlehnung beginnt der Reiter das lockere und vielleicht noch lose Pferd in eine gesunde ganzheitliche Grundspannung zu versetzen. Zum einen durch die immer dynamischer werdendere Hinterhand, einen dadurch aktiveren und besser schwingenden Rücken, zum anderen durch einen getragenen und leicht gewölbten Hals.

Beim lockeren, mit langem Hals laufenden Pferd, bringt lediglich (fast nur) das Rücken -Nackenband den Rücken zum tragen, beginnen jetzt die Muskeln bei dem stärker und athletisch werdendem Pferd mit zu arbeiten. Nur ein Muskel der arbeitet, d.h. sich an- und abspannt kann sich entwickeln und kräftigen.

Hier beginnt ein langer Ausbildungsweg. Jetzt müssen je nach Stärken und Schwächen des Pferdes, Körperbau und Charakter die richtigen Trainingswege und Lektionen gewählt werden, um feste Muskeln zu lockern und schwache zu stärken. Mit der Anlehnung kann die gesamte Beweglichkeit des Pferdes gefördert werden. Nicht nur in die Oberlinie kann geformt werden, sondern durch Stellung und Biegung die Längsbiegung.

Das ein Pferd einen runden Hals hat, heißt nicht automatisch, dass es sich in einer korrekten Anlehnung bewegt. Es muss immer das ganze Pferd gesehen werden. 

 

Juliane Denman

31. Ausgabe Juni/Juli 2010